Ausstellung
Private Rooms - Hannah Byford
Auf der Suche nach Wahrhaftigkeit
Hannah Byford ist eine Künstlerin, die mit ihren konzeptionell angelegten Arbeiten bestimmten Fragen nachgeht und die Wirkkraft von Bildern gezielt reflektiert. Ihre Fotografien wollen nicht dokumentieren oder künstliche Welten erschaffen, sie wollen wahrhaftige Bilder zeigen. Hannah Byford sagt über ihre Arbeitsweise selbst, dass ihre Ideen häufig mit einem beunruhigenden Gefühl beginnen, dass eine Sache oder ein Thema nicht wahrheitsgetreu dargestellt wird und sie mit ihrer Fotografie ein anderes Gegenbild, ein wahrhaftiges Bild entwerfen möchte.
Hannah Byfords Position ist hierbei nicht auf den bloßen Kunstbegriff beschränkt, sondern erstreckt sich vielmehr auf einen erweiterten Bildbegriff, bei dem der Kunst eine Vorbildfunktion innewohnt. Die Kunst ist in der Regel ein Ort, an dem mit einer großen Freiheit Ausdrucksformen erfunden, erforscht und erprobt werden, die dann nicht selten auch auf Bereiche außerhalb der Kunstsphäre wirken.
Die Epochen und ihr jeweiliger Zeitgeist finden in der ihr entsprechenden Kunst oft nicht bloß ein Abbild; die Kunst geht einer Epoche und ihrem Zeitgeist häufig vielmehr voraus und erfüllt als quasi zukunftsweisendes Forschungslabor ihren eigenen avantgardistischen Anspruch. Im Falle der vorliegenden Arbeit, sind das künstlerische Medium und der konzeptionelle Ansatz der Künstlerin zusätzlich von besonderer Bedeutung für die Frage, in wie weit mögliche Wechselwirkungen zwischen künstlerischen Ausdrucksformen und gesellschaftlichen Realitäten bestehen.
Sie wollen wahrhaftige Bilder zeigen
"Am Anfang einer Idee steht gewöhnlich das beunruhigende Gefühl, dass ein Thema, das mich umtreibt, weder wahrheitsgemäß noch treffend dargestellt wird. Meist ist es etwas, von dem ich denke, dass ich es in meiner Arbeit aus einem anderen Blickwinkel darstellen und so tiefer ausleuchten könnte“ - Hannah Byford
Authentisches Bild von Nacktheit und Intimität
Diesen Trend, sich mit Hilfe der Kunst, ein Abbild zu schaffen, welches die Realität übersteigt und die eigenen Sehnsüchte befriedigt, sieht Hannah Byford als eine stete Entwicklung, die bereits in der griechischen Antike ihren Ursprung nahm. Die überhöhte Darstellung von Schönheit trifft dort bereits auf sexualisierte Nacktheit. Im Fall der ersten weiblichen Akt Skulptur, bei der weder Brust noch Scham durch Kleidung verhüllt war, der Aphrodite von Knidos, ist sich die Forschung darüber einig, dass die idealisierte ästhetische Inszenierung des nackten Frauenkörpers weniger mit einer heroisierenden Nacktheit zu erklären ist, als mit einem explizit an das männliche Auge gerichteten erotisierendem Bild.
Mit ihrer Serie „Female Exposure“ entwirft Hannah Byford ein feministisches fotografisches Gegenbild, zu einem vom männlichen Blick dominierten und der ästhetischen Überhöhung geprägten Sujets. Sie präsentiert Aktfotografien, die in enger Zusammenarbeit mit ihren Fotomodellen entstanden sind und ein wahrhaftiges und authentisches Bild von Nacktheit und Intimität vermitteln wollen. Die Fotografien der Serie treten einer Realität entgegen, in der stereotypisierte Körperbilder und die sexualisierte Darstellung von Frauen zur Norm geworden zu sein scheinen. Mit ihrer Arbeit macht uns Hannah Byford das Angebot, ein anderes Narrativ zu verfolgen und einen anderen Blick auf den weiblichen Körper und auf Nacktheit zu etablieren - nämlich einen aufrichtigen und wahrhaftigen.
"Der Akt ist das zentrale Motiv der Serie und doch erscheinen die Raumansichten und Hintergründe der fotografischen Inszenierungen inhaltlich mindestens gleichbedeutend." - Johann Brandes
Private Zimmer
Unter dem Titel „Private Rooms“ präsentiert die KWS Art Lounge NEWCOMER 11 Fotografien aus der Serie „Female Exposure“ von Hannah Byford, die einerseits die Schamhaftigkeit gegenüber Nacktheit hinterfragen und andererseits die hohe Intimität privater Räume offenbaren. Die Fotografien sind geeint durch eine einheitliche Bildkomposition und versammeln eine große Fülle unterschiedlicher Atmosphären und individueller Ausdrücke. Der Akt ist das zentrale Motiv der Serie und doch erscheinen die Raumansichten und Hintergründe der fotografischen Inszenierungen inhaltlich mindestens gleichbedeutend. Hannah Byford ist es in enger Zusammenarbeit mit ihren Modellen gelungen, authentisch überzeugende und inhaltlich verdichtete Fotografien zu produzieren, welche die Natürlichkeit des nackten Körpers und die intime Stimmung privater Räume erleben lassen.
Gemäß ihrem Anspruch, wahrhaftige Bilder zu produzieren, die den Gegenstand ihrer konzeptionellen Arbeit adäquat verständlich und unverfälscht wiedergeben, hat Hannah Byford für ihre Serie individuell sehr unterschiedliche Modelle und verschiedene authentische Orte gewählt, die eine hohe inhaltliche Diversität der Fotografien gewährleisten. Die inhaltliche Vielfalt der Fotografien wird durch ihre seriell gleichartige Komposition formal vereinheitlicht und untereinander vergleichbar gemacht. Die frontal angelegten Bilder lenken über ihre Zentralperspektive den Blick gezielt in das Zentrum der von natürlichem Licht erhellten Bildräume, in deren Mitte der Akt platziert ist. Die Interieurs beziehungsweise Außenansichten nehmen innerhalb der Komposition verhältnismäßig viel Bildraum ein und überwiegen im Verhältnis zu den in ihnen inszenierten nackten Körpern.
Die Fotografien machen deutlich, wie viele intime Details der Einblick in eine private Lebenssituation verrät und wie sehr die äußerliche Erscheinung eines Ortes als charakterliches Spiegelbild seiner BewohnerInnen wahrgenommen wird. Die unterschiedlich gestalteten Raum- und Außenansichten scheinen innerhalb der Fotografien die Funktionen von Dekorations-, Distinktions- und Definitionsmöglichkeiten zu bieten, welche ihren Ausdruck sonst über die Mode der Kleidung finden. Insgesamt ist in der Serie ein interessantes Wechselverhältnis zwischen dem Akt und der Umgebung zu beobachten, welches die Nacktheit relativiert und die Funktion von Kleidung betont. Mitunter wirken die Bilder der Serie so, als wären die Personen in der betreffenden Situation bekleidet und die Kleider würden auf den Fotografien nicht eingefangen. Die Modelle sehen auf vielen der Fotografien nicht so aus, als würden sie extra für einen Akt posieren, sondern vielmehr, als würden reguläre Posen des alltäglichen Lebens auf den Akt angewendet.
Die Kunst geht einer Epoche und ihrem Zeitgeist häufig vielmehr voraus
Wie in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ scheinen sich die Fotomodelle ihrer eigenen Nacktheit in den Aufnahmen gar nicht bewusst zu sein und es werden weder Scham noch Erotik durch Mimik oder Gestik zum Ausdruck gebracht. Die Bildkompositionen erscheinen inhaltlich tatsächlich unabhängig von dem formalen Zustand der Nacktheit oder der Bekleidung und die Fotografien handeln letztlich weniger von einer selbstbewussten Zurschaustellung nackter Körper als von der Zurschaustellung eines normalen Selbstbewusstseins. Die Ausstellung „Private Rooms“ zeigt uns Bilder, die Nacktheit als normalen und natürlichen Zustand vorführen und die atmosphärische Dichte von Orten transportieren. Die hohe Privatssphäre in den Räumen ermöglicht es Hannah Byford, die bereits zur Norm gewordene erotische oder sexuelle Konnotation des Aktes zu durchbrechen und den nackten, weiblichen Körper in intimen Augenblick zu repräsentieren, ohne ihn als voyeuristische Sensation misszuverstehen.
In dieser digitalen Ausstellung "Private Rooms" wurde Ihnen Bildausschnitte und Teilbereiche der wunderbaren Fotografien von Hannah Byford dargestellt. Bei weiterem Interesse empfiehlt es sich die Live-Ausstellung mit den 11 Prints im Großformat direkt vor Ort zu besuchen.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Katalog zur Ausstellung "Private Rooms" der englischen Künstlerin Hannah Byford in der KWS Art Lounge NEWCOMER vom Kurator Johann Brandes.
Den Print-Katalog erhalten Sie in Kürze gegen eine Spende vor Ort in der Live-Ausstellung. Der Erlös kommt der Künstlerin direkt zugute.
Private Rooms - Hannah Byford
7. August - 15. Oktober 2020
KWS Art Lounge NEWCOMER
Tiedexer Straße 20, 37574 Einbeck
Zu den Künstlern - Hannah Byford & Johann Brandes
Hannah Byford
Ihre Abschlussarbeit an der University of East London, wo Hannah Byford mit Auszeichnung studierte, trägt den Titel Bodies to be Desired; What are the Consequences of “Photoshop Culture” on Women Today? und legt nach Aussage der Künstlerin den Grundstein für ihre künstlerische Position.
Die Frage, was für welche Bilder das Selbstbild der Frauen und das Bild auf Frauen prägen und wie weit diese Bilder manipuliert sind, ist ein grundsätzliches Anliegen der Künstlerin.
Johann Brandes
Er (*1983 in Hannover) studierte Kunstgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und American Studies in Göttingen, lebt und arbeitet als Kunsthistoriker, freier Kurator und Kunstvermittler in Hannover. Neben der Beratung und Betreuung von Privatsammlungen, ist er Studio Assistant bei Tomislav Topic / QUINTESSENZ. Darüber hinaus ist er Gründungsmitglied des C28 | Kunstraum und leitet metavier | Galerie vom Anfang und Ende.
In seiner kuratorischen Arbeit thematisiert er die Grenzbereiche der Kunst sowie das Verhältnis vom Kunstbetrieb zur aufgeklärten Wissensgesellschaft.