Ausstellung:
Schwebende Substanzen – Petra Lemmerz
Seit Beginn ihres künstlerischen Schaffens kennt diese Malerin aus Düsseldorf nur ein Thema: Malerei als Malerei, nichts als Malerei. Keine Abbildung, keine Darstellung, kein Inhalt. Ihre Bilder sind abstrakt und lassen sich in Form und Methode von den Gesetzen des Malens bestimmen, von Prozessen, Entwicklungen, Verläufen. Diese binden sich an physikalische Realitäten. Dazu gehören künstlerisches Handwerkzeug wie Stift und Griffel, Pinsel und Tube, Spritzen und Eimer; sie gestalten geologische Aggregatzustände – pulverisiert, körnig, versteinert oder flüssig. Es sind Alkohol und Farbe, Acryl und Pigment. Daraus entwickeln sich unter der kreativen Hand der Künstlerin immer neue Material- und Farbnuancen durch Kombinationen, Interaktionen, Kompositionen. Sie kreieren ein breites Feld ungewöhnlicher Erfindungen, eine dynamische Welt voller Bewegung, Verlauf und Entgrenzung. (P. Friedrich Mennekes S. J., Consigliere für zeitgenössische Kunst im päpstlichen Kulturrat des Vatikans)
Im Biotechnikum der KWS präsentiert uns die Künstlerin ein breites Spektrum ihrer farbenprächtigen Werkserien.
Videomittschnitt der Vernissage – Begrüßung: Eva Kienle, KWS Vorstandsmitglied - Statement: Michael Stoeber, Kunsthistoriker Hannover
Serien – Das Einzelwerk ist in ihrem Werk stets Teil eines größeren Ganzen.
"Von Anfang an ist in der Kunst von Lemmerz die Konzeption angelegt, eher in Serien zu denken als in Einzelbildern. Träumen manche Maler von ultimativen Bildern, so Lemmerz von ultimativen Serien. Die Serie ist ihre große Konfession." - Michael Stoeber
Mythologie
Den Helden der Antike und der altägyptischen Geschichte sind auch drei weitere Werkserien aus den letzten Jahren gewidmet, die ebenfalls in der KWS zu sehen sind. Sie hätten nicht besser gewählt sein können.
„Aton“ (2020), von dem in den Titeln [...] die Rede ist, war im alten Ägypten zunächst nur ein Begriff für die Sonnenscheibe, bis er unter Echnaton zum alleinigen Gott ausgerufen wird. Er, der die Erde wärmt und nährt, gilt nun als Erschaffer der Welt. Was der Betrachter vor allem in den Bildern ausgedrückt findet, deren gelbe und rote Farblandschaften die Hitze der Sonne zu speichern scheinen.
Am Komplexesten ist die Gestalt des „Prometheus“ (2020), der den Göttern das Feuer stahl, das er den Menschen brachte, und der als Urheber der menschlichen Zivilisation gilt. Zur Strafe wurde er auf Befehl des Zeus gefesselt und ins Gebirge gebracht, wo ein Adler jeden Tag von seiner Leber fraß, die sich immer wieder erneuerte, bis Herakles ihn befreite. Sein Schicksal hat zahlreiche Künstler und Dichter zu Werken inspiriert. [...]
Petra Lemmerz nimmt sich des Themas in ihrer gewohnten Bildsprache an. Dabei ist auffällig, dass jedes Gemälde ihrer Werkreihe einen farblichen und formalen Zusammenprall inszeniert, in dem man den Konflikt von alter und neuer Ordnung im Prometheus-Mythos gespiegelt sehen mag.
Balance
Dieses Kunststück vollbringt Petra Lemmerz auch in den Werkserien der letzten Jahre, die sie in der KWS in Einbeck zeigt. Ihre Werktitel nehmen, in chronologischer Auflistung, einmal mehr Anleihen bei den Formen ihrer Verfertigung und der griechischen Mythologie. Allerdings ist der malerische Gestus in ihnen noch selbstbezüglicher, unbedingter und expressiver als schon in früheren Werken. Eine ganz neue Serie nennt die Künstlerin „Cambiamenti“ (2021/2022).
Dem Titel ist der Wechsel, der in den Bildern zum Ausdruck kommt, förmlich eingeschrieben.
In einem [...] Werk nehmen die Farben unterschiedlich große, vertikale Bildpartien für sich in Anspruch. Dabei interagieren ein verhaltenes Ocker, ein helles Blau, ein dunkles Violett und ein mildes Gelb miteinander. Sie stehen dabei in prekärer und fragiler Balance zueinander, die jeden Augenblick aus dem Gleichgewicht zu geraten droht.
Symbiose
Der Vergleich drängt sich auch auf, wenn man Petra Lemmerz dabei zuhört, wie sie von der Schwierigkeit des Anfangs beim Malen spricht. Wie der Schreibende oft lange Zeit braucht, bis er seinen ersten Satz findet, so die Künstlerin, bevor sie sich für eine Farbe entschieden hat, für den Ort auf der Leinwand, wo sie sie hinsetzt und für das Medium, das sie dabei benutzt, Pinsel, Rolle oder Schüttung. Auch wenn diese Farbe später unter Umständen unter weiteren Farbschichten gänzlich verschwunden ist, ist sie von hervorragender Bedeutung für das Ganze des Bildes, folgen aus der ersten Setzung doch alle weiteren. So viel zur immer noch weit verbreiteten Vorstellung einer vermeintlichen Beliebigkeit abstrakter Kunst.
Wichtig ist für Lemmerz auch, beim Malen den ganzen Körper einzusetzen. Sie malt selten nur aus der Hand und dem Arm heraus. Ihr Malen ähnelt eher einem Tanzen, was sinnfälliger nicht sein könnte. Subjekt und Objekt, die Malerin und ihr Bild verschmelzen dabei in symbiotischer Weise. Das wird auch deutlich in Serien wie „Veil“ (2020/2021) und „Serpente“ (2021). Deren Titel markieren zugleich zusammen mit dem Thema ein malerisches Verfahren, wenn in ihnen von Schleier und Verschleierung die Rede ist oder von Schlangen.
Mehr zur Ausstellung – Schwebende Substanzen
Katalog
Zur Ausstellung im BiT wurde ein Katalog mit Darstellungen der Werke und erklärenden Texten veröffentlicht.
Der Katalog ist in der Art Lounge in Einbeck erhältlich. (Tiedexer Str. 20 a, 37574 Einbeck)
Ausstellungsführung
Am Donnerstag, den 21. Juli um 19.00 Uhr führen Michael Stoeber und Bettina Alex durch die Ausstellung. Die Führung ist kostenfrei. Interessierte können sich per E-Mail anmelden. (Die Führung wurde verschoben und war ursprünglich für den 06.07.2022 geplant.)
Ort: Kunst im BiT, KWS SAAT SE & Co. KGaA
Grimsehlstraße 31, 37574 Einbeck
Anmeldung unter kunst@ kws.com
Zu den Personen – Petra Lemmerz und Michael Stoeber
Künstlerin: Petra Lemmerz
Petra Lemmerz studierte nach Auslandsaufenthalten in USA, Kanada, Mexiko, Guatemala, Sri Lanka, Malaysia und Thailand zunächst Philosophie, Literaturwissenschaft und Völkerkunde an der Universität Tübingen, anschließend Kunstgeschichte, Baugeschichte und Literaturgeschichte an der Universität Karlsruhe. Es schloss sich 1983 bis 1988 ein Studium der Kunsterziehung, Literaturwissenschaft und Religionswissenschaften an der Gesamthochschule Kassel an, von 1986 bis 1988 studierte sie außerdem freie Malerei an der Kunstakademie Stuttgart (Prof. Sonderborg, Prof. E. Mansen). Von 1991 bis 1994 leitete Petra Lemmerz die Aktzeichenklasse an der freien Kunstschule Schwäbisch Hall, von 2000 bis 2002 hatte sie einen Lehrauftrag für Malerei an der Fachhochschule für Gestaltung Pforzheim. Vor 20 Jahren zog sie von Stuttgart nach Düsseldorf und lebt heute dort und in Italien (Castelnuovo d`Elsa).
Kunsthistoriker und Kunstkritiker: Michael Stoeber
Michael Stoeber lebt und arbeitet als Autor und Kurator in Hannover.
Er studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Göttingen, Nizza und Hannover. In den achtziger Jahren begann er für die tageszeitung und als Radioautor für den NDR zu schreiben. Heute schreibt Stoeber regelmäßig für Kunstforum International, EIKON, artist und die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Er ist Verfasser von Katalogtexten, Büchern und Buchbeiträgen zur zeitgenössischen Kunst und Fotografie.
Auszüge aus seinem Text zur Ausstellung wurden für diese Onlineausstellung verwendet.