Die Künstlerin weist mit ihrer Ausstellung einfühlsam auf gesellschaftliche Missstände von Frauen hin, welche sich trotz der Einschränkung ihrer Freiheiten und Rechte nicht entmutigen lassen und sich ihren Freiraum zur persönlichen Entfaltung schaffen“, sagte Dr. Felix Büchting, Sprecher des KWS Vorstandes, bei der Vernissage. „Hangama Amiri erstellt Textil-Collagen, die in ihrer Materialität und Farbigkeit nicht zu übertreffen sind. Lassen Sie sich als Besucher verzaubern von der intensiven Farb- und Stoffvielfalt dieser besonderen Motive, die ihre eigenen Geschichten erzählen.“
Die Opulenz der haptisch und farblich kontrastreichen Textilien in den Arbeiten von Hangama Amiri erinnert an den Reichtum der Stoffe aus dem Heimatland der Künstlerin, an Afghanistan: Von Baumwoll- oder Jeansstoffen über Gabardine, Damast, Jacquard und Jersey bis hin zu Chiffon, Tüll, Spitze und Seide verleihen diese eine sinnliche Ausstrahlung, der sich niemand entziehen kann. Und wenn sie amerikanischen Jeansstoff und afghanisches Tuch zusammen vernäht, führt Amiri symbolisch West und Ost zusammen.
Hangama Amiri, geboren 1989 in Pakistan, lebt und arbeitet in New Haven, Connecticut/USA. Sie wuchs in Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan auf, bevor sie 2005 mit ihren Eltern nach Kanada immigrierte. Ihr Studium absolvierte sie in Halifax und an der Yale School of Art in New Haven, wo sie 2020 ihren Abschluss in der Abteilung für Malerei und Druckgrafik machte. Zur Ausstellungseröffnung war die Künstlerin allein per Videobotschaft präsent, da sie zeitgleich in Rom und Toronto zwei Einzelausstellungen vorbereiten muss.
Während des Masterstudiums in Yale stellte sich Hangama Amiri die Frage, ob nicht ein textiles Medium besser geeignet wäre, auszudrücken, was ihr in ihrer Kunst wichtig ist. Zumal Stoffe und Nadeln wie Papier und Zeichenstift sie seit ihrer Kindheit bis heute begleiten; zuvor hatte sie viele Jahre als Malerin mit Pinsel und Farben gearbeitet. Die Künstlerin näht farbenfrohe Textilien zusammen, setzt zum Teil Stoffschichten übereinander und gestaltet mit ihnen nuancierte Licht- und Schattenwerte, die fast plastisch wirken. Am Anfang jeder Arbeit steht eine Farbskizze, die ihr hilft, sich über die Komposition des Stoffbildes klar zu werden.
Für Kunsthistoriker Michael Stoeber (Hannover) ist Hangama Amiris Bilderreigen „das Kaleidoskop einer inneren Immigration“. Der den Frauen zur Selbstentfaltung bleibende private Raum werde zu einer Art von stummem Protest, er sei „Bühne eines stillen Widerstandes“, eben „Quiet Resistance“, wie der Titel der Ausstellung lautet. Die auf mehreren Bildern unübersehbaren rot lackierten Fingernägel der Frauen seien gleichsam „ein Plädoyer für den Selbstausdruck und die Selbstbestimmung der Frauen in Afghanistan und damit zugleich ein Protest gegen die restriktiven Gesetze des Taliban-Regimes, was ihre Freiheit angeht“, erläutert der Kunsthistoriker.
Hangama Amiri hat 2023 das Kaiserring Stipendium in Goslar erhalten. Sie ist bereits die achte Stipendiatin, die mit ihrer Ausstellung von Goslar zur NEWCOMER nach Einbeck wandert und sie hier neu konzipiert. Das Goslarer Kaiserring Stipendium wird seit 1984 vom Verein zur Förderung Moderner Kunst verliehen und seit 2014 von der AKB Stiftung in Einbeck gefördert.
Die Ausstellung in der NEWCOMER KWS Art Lounge umfasst sechs Wandarbeiten. Hinzu kommen vier Chiffon-Werke, die die Künstlerin vorher noch nie so gezeigt hat. Die Muster sind mit Farbstofftinte gemalt, einige Blumen und Blätter von Hand aufgestickt. Das Nähen und Sticken geht auf eine häusliche Tätigkeit zurück, die seit Generationen von Müttern an Töchter weitergegeben wird. Die transparenten, leicht schwingenden Stoffe fungieren als Fassadenwand und treten in einen Dialog mit der Fachwerk-Architektur in den Räumen von NEWCOMER.