Stühle sind bei Rolf Behme Synonyme menschlicher Verhaltensweisen, sie repräsentieren Beziehungen und Beziehungsweisen, regen zum Nachdenken an. Die Ausstellung „beziehungsweise n“ verweist auf eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ausprägungen, Herangehensweisen und Erscheinungsformen von Beziehungen zwischen Menschen. „Stühle beschreiben eine Art von Haltung, die man zur Welt einnimmt“, sagte Dr. Sabine Foraita, Professorin für „Designwissenschaft und Designtheorie“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim und Dekanin der Fakultät Gestaltung. „Dabei ist immer die Art des Sitzens, die Qualität des Sitzens, aber auch der Ort des Sitzens entscheidend.“ Für Designschaffende sei zudem die Gestaltung eines Stuhls eine Herausforderung, denn ein Stuhl symbolisiere nicht nur die Haltung zur Welt, sondern er sei auch als ein Statussymbol zu verstehen.
In Rolf Behmes Foto-Serie „Relations“, bei der unterschiedliche Stühle in ganz unterschiedlichen Umgebungen zu sehen sind, lassen sich weder Figuren noch Menschen entdecken. Aber sie bieten Raum und Anlass für persönliche Projektionen, die jeder Betrachter mit eigenen Erfahrungen und Sozialisationen abgleicht: Aus der Erscheinung wird eine Anschauung generiert. Die Stuhlsituationen erscheinen vertraut, auch wenn die Orte fremd sind. Das kann das Gespräch unter Freunden oder Fremden sein, aber auch der vereinzelte Stuhl, der Einsamkeit repräsentiert. Die gedankliche Vorstellung des sich Einfügens, indem ich mich setze, mich verorte, ist vertraut und eingeübt, so dass ein sich Versetzen in andere veränderte Situationen und die damit verbundene Interpretation bis hin zur Identifikation möglich wird.
Das Sujet der Stühle setzt sich bei Rolf Behmes Ausstellung „beziehungsweise n“ in der plastischen Auseinandersetzung fort. Bei den Stahlstühlen werden menschliche Eigenschaften wie Rücksichtslosigkeit, Zaghaftigkeit oder Dominanz charakterisiert. Die Stühle sind auf Podesten präsentiert, annähernd auf Augenhöhe des Betrachters und verweisen durch den bereits angesetzten Vorgang des Rostens auf den zeitlichen Verlauf einer Beziehung hin. Weitere Stuhlplastiken zeigen zwei Stühle, die miteinander in tänzelnder, akrobatischer Bewegung agieren oder ein einzelner Stuhl, der mit sich selbst seinen Tanz vollzieht. Eine darauf aufbauende Auseinandersetzung der Beziehungen bildet die Mann-Serie – Skulpturen, die wie stürzende, fliegende oder vom Wind in Bewegung versetzte dynamische Menschen wirken. Eine dieser Figuren kämpft mit einem Stuhl, zerquetscht diesen.
„Das malerische Werk von Rolf Behme kommt ausgesprochen farbgewaltig daher“, stellte Dr. Sabine Foraita bei der Eröffnung der Ausstellung „beziehungsweise n“ fest. Beim erst in diesem Jahr 2023 entstandenen Triptychon „Wahnsinn“ lässt sich die Vorgehensweise Rolf Behmes nachempfinden: Der Fund einer Feldpostkarte, die seine Großmutter im Ersten Weltkrieg erhalten hat, hat Rolf Behme zu dem nie endenden Wahnsinn des Krieges arbeiten lassen. Ein Soldat in heroischer Pose wird von ihm mit Elementen aus Comic-Strips und mit Referenzen anderer Bildwelten der Kunst in eine neue, abstrakte Bildwelt transformiert. Der Blick wird auf eine knallrote Kiste gelenkt, in der die ersehnte Lösung aller Konflikte zu finden sein könnte. „Das wäre angesichts der derzeitigen kriegerischen Auseinandersetzungen auf dieser Erde ausgesprochen wünschenswert“, bekräftigte Dr. Sabine Foraita. „Dazu müssten aber sowohl die Anschauungen als auch die Beziehungen oder Beziehungsweisen aller Menschen auf eine bessere Art funktionieren.“
„Der Titel, den der Künstler Rolf Behme für seine Ausstellung im Biotechnikum gewählt hat, ist voller Wortspiele“, sagte Dr. Felix Büchting, Sprecher des Vorstands der KWS, bei der Vernissage. Behmes Beziehung zur KWS werde besonders deutlich durch die Rübenskulpturen. Die KWS Zuckerrübe erstrahle in der farbenfrohen Ausstellung im KWS Orange. Anhand einer Zuckerrübe aus einem KWS Gewächshaus sind sieben in Beton gegossene Skulpturen entstanden.
Mit mehr als 60 Ausstellungen seit 1999 gibt KWS gerne auch regionalen Künstlern die Gelegenheit, ihre Werke im KWS Biotechnikum auszustellen. „Kunst und Wissenschaft brauchen Freiraum, um kreativ zu sein und Neues zu schaffen“, so Dr. Felix Büchting. Deswegen zeige KWS die Kunst auch mitten im Forschungsgebäude.
Rolf Behme, geboren 1955, studierte Kunst an der Kunsthochschule und an der Universität Kassel. Neben der Malerei und der Skulpturentechnik hängt seine Leidenschaft an der Foto-Kunst, die er seit 1978 aktiv verfolgt. 2009 erhielt er für die Fotoserie „Vorsaison" den Kunstpreis der Sparkasse Hildesheim. 2019 wurde er erneut für seine Arbeit als Foto-Künstler ausgezeichnet. Bis 2020 war er als Landeskoordinator und Fachberater für das Fach Kunst und Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim tätig. Rolf Behme lebt und arbeitet in Hildesheim und ist Mitglied im ortsansässigen BBK, dem Bund Bildender Künstlerinnen und Künstler.