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Ausstellung:
hortus ortus - Fabian Lehnert

Der Leipziger Künstler Fabian Lehnert verbindet in seinen Bildkonzepten und Strategien unsere Freude am Schauen. Er führt uns in wundersame, faszinierende Pflanzenwelten. Welten, die von menschlichen und tierischen Wesen oder Mischformen bevölkert werden. Seine bevorzugten Medien sind Zeichnung und Druckgrafik, wobei er das Zeichenblatt auch gerne verlässt, um auf größeren Flächen zu arbeiten. Für die Ausstellung im Biotechnikum der KWS malt er direkt am Ausstellungsort.

Von der Natur, den Märchen und ihren Bewohner*innen

Die Bremer Stadtmusikanten, 1819 von den Gebrüdern Grimm in ihrem ersten Band der Kinder und Hausmärchen veröffentlicht, gehört zu jenen Märchen, das sich in seiner metaphorischen Bedeutung noch heute besonders gut in unser kapitalistisches System und unser neoliberales Verständnis von Arbeit projizieren lässt.

Nach Jahren harter körperlicher Arbeit und treuer Dienste an ihren Frauen und Herren, finden sich die vier Protagonisten Esel, Hund, Katze und Hahn ihrer Jugend und körperlichen Kräfte beraubt, als nutzlos gewordene und nicht mehr erwünschte Last wieder, derer sich nur noch durch den Gnadenstoß entledigt werden kann. Ein frühes Beispiel von Ageism!

Die Tiere wissen sich zu helfen und entfliehen ihrem Schicksal, indem sie sich auf Wanderschaft nach Bremen machen, um dort Musikanten zu werden. In Bremen kommen sie bekanntlich nie an, da sie auf ihrem Weg Halt an einer schönen Waldhütte machen, die jedoch von Räubern bewohnt wird.

Rasch kommt den Vieren die Idee der Tierpyramide, eines auf dem Rücken des anderen stehend verwandeln sich die vier einzelnen Tiere in ein bizarres und unförmiges Monstrum, das in der aufgehenden Kakophonie ihres Geschreis die Räuber dermaßen erschreckt, dass diese schlagartig die Flucht ergreifen. Durch ihr gemeinsames Handeln und Zusammenstehen als Gruppe gelingt es den Tieren sich, von ihren Frauen und Herren zu emanzipieren, sich der Räuber zu entledigen und sich in der „besetzten“ Waldhütte eine solidarische und sich gegenseitig unterstützende Wohngemeinschaft zu schaffen.

Jedes einzelne Tier ist eine Kopie nach Vorlagen aus alten Enzyklopädien des 17. bis 19. Jahrhunderts

Im druckgraphischen Œuvre des Künstlers Fabian Lehnert begegnet man ebenfalls Tierbergen, Akkumulationen von Tieren, die in ihrer Zusammenstellung ähnlich bizarr und befremdlich wie die Bremer Musikantenpyramide wirken.

Da gibt es z.B. das Blatt „Apteryx“, auf dem ein Kiwi das Bildgeschehen dominiert. Um den flugunfähigen Vogel herum, aber vor allem auf seinem Rücken sind zahlreiche weitere Vögel versammelt: Felsenpinguine, ein Riffreiher, der zur Familie der Papageien gehörende und ebenfalls flugunfähige Kakapo und sogar Vertreter der bereits ausgestorbenen Laufvögel Moa. Was all diese Tiere eint sind zwei Dinge: Zum einen ihr Lebensraum, denn es sind ausschließlich in Neuseeland vorkommende Spezies. Zum anderen das Motiv selbst, denn jedes einzelne Tier ist eine Kopie, die Lehnert nach Vorlagen aus alten Enzyklopädien des 17. bis 19. Jahrhunderts anfertigt.

Ein anderes Blatt mit dem Titel „Tapirus Indicus“ stellt die malaysische Fauna rund um Tapir, Stachelschwein, Nasenaffe und Gibbon dar. Aber auch heimische Tierberge bekommen in der Radierung „Meles Meles“ mit Dachs, Igel, Eichhörnchen und Rotfuchs ihren Auftritt.

Die Enzyklopädie hat den Anspruch ein besonders umfangreiches Nachschlagwerk zu sein, kann aber, mit Ausnahme von vielleicht Wikipedia als dynamisch wachsende und sich stetig aktualisierende Enzyklopädie, immer nur eine Augenblickaufnahme des vorhandenen Wissens einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Raumes abbilden. Sie ist daher nicht gefeit vor veraltetem und überholtem Wissen oder gar Fehlern.

Ein Beispiel dafür ist etwa die Darstellung und damit verbunden unsere Vorstellung des seit dem 17. Jahrhunderts ausgestorbenen flugunfähigen Vogels Dodo. Zum Ende des 16. Jahrhunderts auf der Insel Mauritius durch holländische Seefahrer entdeckt, gehen die ersten europäischen Abbildungen der Vögel lediglich auf die Erzählungen der Seefahrer zurück. Ähnlich wie sich bereits Albrecht Dürer beim Zeichnen seines Rhinozeros lediglich auf Überlieferungen verließ, ohne das Tier jemals selbst gesehen zu haben, entstanden Darstellungen des Dodo, ohne dass einer der Graveure der Zeit je ein lebendes Exemplar des Vogels zu Gesicht bekommen hätte.

„Mich fasziniert, dass die einzelnen Elemente wie ein Puzzle ineinander passen. Der Grundbauplan ist bei allen Lebewesen gleich.“ - Fabian Lehnert

Die Geschichte und Verbreitung der Menschen ist seit der Prähistorie eng verbunden mit massenhaftem Artenaussterben1, doch schwingt in der Rezeption des ausgestorbenen Dodos etwas besonders Rührendes und auch Romantisierendes mit. Kaum ein Jahrhundert nach seiner Entdeckung durch die Menschen starb das Tier aus. Der zutrauliche Dodo hatte auf Mauritius keine natürlichen Fressfeinde und war damit eine besonders leichte Beute bei der Jagd. Eingeschleppte Ratten, Hunde und Schweine taten den Rest und zerstörten vor allem die in Bodennestern gelegten Eier.

Zu der bis heute anhaltenden Popularität des Dodo trug vermutlich auch sein Auftritt in Lewis Carrolls Alice im Wunderland bei.2 Und so märchenhaft sein Auftritt in Carrolls Roman ist, so entspringt das Bild, das wir von diesem Vogel haben nicht weniger stark der Imagination von Künstlern, die sich den Dodo zunächst aufgrund mündlicher und schriftlicher Überlieferungen formten, dann Zeichnung um Zeichnung voneinander kopierten und somit über die Jahrhunderte ein reiches und vielseitiges Formenvokabular des Dodo schufen. Erst Skelettfunde, die sich als zusammengesetzte Rekonstruktionen heute in verschiedenen naturhistorischen Museen auf der ganzen Welt befinden, haben das Bild des Dodos korrigieren können.

1Vgl. Harari, Juval, in: Sapiens. A Brief History of Humankind, London 2014, S. 72-83.

2“At last the Dodo said, ‘Everybody has won, and all must have prizes.’”, in: Carroll, Lewis: Alice’s Adventures in Wonderland, New York, S. 32 ff.

Bei Wanderungen und Spaziergängen durch die Natur

Knochenfunde spielen auch in Fabian Lehnerts Werkserie „Ossa“ eine wichtige Rolle. Bei Wanderungen und Spaziergängen durch die Natur stieß Lehnert immer wieder auf verwesende Tiere, teilweise noch mit Gefieder oder Fell, häufig aber auch aufgelöst bis auf das Knochengerüst.

Was zunächst als bloßes Sammeln der Fundstücke anfing, integrierte der Künstler mit der Zeit in seine Kunst. Ähnlich wie in naturhistorischen Sammlungen sichtet er, säubert, klassifiziert und setzt die Knochen in Objektkästen und Bilderrahmen wieder zusammen. Erst allmählich, aus dem künstlerischen Arbeitsprozess heraus entstanden so die zeichnerischen und malerischen Werke der „Ossa“ Serie, in die sich die Knochen ganz natürlich einfügen.

Chimären - halb menschliche, halb tierische Wesen

Aus dem zeichnerischen und druckgraphischen Prozess heraus entstehen auch Lehnerts surreal wirkende Chimären, halb menschliche, halb tierische Wesen. Striche die der Künstler beim Zeichnen setzt wirken mit einem Mal wie das Fellmuster eines Tieres und so transformiert sich die menschliche Figur wie von selbst in ein Mischwesen. Auf diese Weise ist über die Jahre ein großes Konvolut an Drucken entstanden, in denen die Naturbeobachtungen Lehnerts und seine künstlerische Imagination zusammen fließen zu völlig neuartigen Kreaturen. Diese Bildwelten erinnern an Motive surrealistischer Künstler wie Odilon Redon oder symbolistischer Maler wie Fernand Khnopff. In den vogelartigen Mischwesen kann man gar Ähnlichkeiten zu Max Ernsts Alter Ego „Loplop“ erkennen, jenem Vogelmischwesen, das des Künstlers Werke immer wieder heimsuchte. In den märchenhaften Bildwelten Fabian Lehnerts manifestiert sich auf besonders schöne Weise, was dem Künstler wichtig ist: Seine Leidenschaft für die Natur und die Kunst zu vereinen.

Die digitale Ausstellung „hortus ortus“ mit Malerei, Zeichnungen und Druckgrafiken umfasst einen Auszug der Werke von Fabian Lehnert und wurde mit dem Text der Kunsthistorikerin Elmas Şenol ergänzt.
Die hierzu angefertigte Broschüre enthält sämtliche ausgestellte Werke am Standort in Einbeck inklusive Preise. Sie ist hier auch als PDF-Download erhältlich. Weitere Informationen hierzu gerne auf Anfrage über Frau Bettina Alex.

hortus ortus - Fabian Lehnert
Nur online ab 6. November 2020
Kunst im BiT, KWS SAAT SE & Co. KGaA
Grimsehlstraße 31, 37574 Einbeck

Mehr zum Künstler und seinen Werken

Zu den Künstlern - Fabian Lehnert & Elmas Şenol

Künstler: Fabian Lehnert

Er wurde 1984 in Leipzig geboren. 2005 begann er sein Studium an der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig, erhielt 2011 sein Diplom und schulte sein Handwerk als Meisterschüler bei Professor Wolfgang Ellenrieder. Er lebt und arbeitet in Leipzig.
Lehnert erhielt u.a. Stipendien von der Denkzeit, Kulturstiftung des Freistaates Sachsen (2020) und von der Kunststiftung Kunze, Gifhorn (2017).

Mit seinen Malereien, Zeichnungen und Druckgrafiken führt uns Fabian Lehnert in wundersame, fantastische Pflanzen- und Tierwelten.

Künstler Fabian Lehnert | Credits: Patrice Kunte

Künstler Fabian Lehnert | Credits: Patrice Kunte

Kunsthistorikerin Elmas Şenol | Credits: Volker Crone

Kunsthistorikerin Elmas Şenol | Credits: Volker Crone

Kunsthistorikerin: Elmas Şenol

Elmas Şenol (*1986 in Köln) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Anglistik in Bonn und Rom. 2018 kuratierte sie die erste institutionelle Einzelausstellung der Guerrilla Girls in Deutschland – gerade zum Höhepunkt der #metoo und #notsurprised Debatten.

Ihr kuratorisches Interesse liegt besonders auf künstlerischen Positionen, in denen formale Ästhetik auf Inhalte mit gesellschaftlich relevanten Themen treffen.

Ihr Ansprechpartner

Bettina Alex
Bettina Alex
Public Affairs & Arts
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