Im Suchen und Erzeugen von Bildern auf der Grundlage von photosensiblen Materialien, graphischen und performativen Prozessen beschäftigt sich Johnny Linder mit Themen des Unwägbaren und Relativen. Die Bilder verfolgen eine eigene, unkontrollierbare Dynamik.
Der Kunsthistoriker Alexander Leinemann (Göttingen) plädierte bei der Vernissage dafür, die Fotografie in der Kunst nicht immer mit Zusätzen zu versehen, um ihr Wertigkeit zukommen zu lassen. „Fotokunst“ sei nicht notwendig, denn schließlich spreche ja auch niemand von „Malereikunst“. Alexander Leinemann: „Das ist Fotografie, ohne Wenn und Aber.“ Und Fotografie könne mehr als realbefindliche Abbilder zu schaffen. Die Ausstellung von Johnny Linder zeige, zu welchen Möglichkeiten das Medium imstande sei. „Ein stilles Bild ist erst dann interessant, wenn ich selbst hinterfragen muss und merke, dass es nicht die eine perfekte Antwort geben wird“, sagte Alexander Leinemann. Die Fotografie von Johnny Linder schaue nach vorne und zeige nicht etwas Abgeschlossenes, nicht nur eine visuelle Präsenz. „Kunst funktioniert dann, wenn sie uns zum Nachdenken bringt über viel größere Dinge als kleinformatige Bilder in materieller Form“, sagte der Kunsthistoriker, der für das Sprengel-Museum Hannover arbeitet.
Vergänglichkeit ist das Thema der Installation im vorderen Raum der KWS Art Lounge NEWCOMER. „Ich habe einfach Dinge während des Entwickelns nicht fixiert – und dadurch bleiben sie im Entwicklungsprozess“, schildert Johnny Linder. „Es sind Bilder, die sich auch in ihrer Farbigkeit nach und nach verändern werden.“ Er stellt in der Ausstellung Prozesse aus, indem er die Arbeiten während der Ausstellungsdauer sukzessiv dem Tageslicht aussetzt. Beispielsweise blieb die Fotoarbeit „Repixel“ bis zum Ausstellungsbeginn konsequent abgedeckt, um sie erst zur Vernissage dem Veränderungsprozess durch Tageslicht zu überlassen. Das gepixelte Bild wurde mit einzelnen Quadraten aus teilweise entwickeltem und fixiertem Silbergelatinepapier nachgebildet.
In der Raummitte des vorderen Raumes steht ein Plexiglaskasten auf einem Holzsockel, in dem sich lichtempfindliche Papiere befinden. Die Besucher sollen bewusst in diese künstlerische Arbeit und in die Belichtungsprozesse der Papiere eingreifen, indem sie das oberste Blatt abnehmen und das nächste Blatt dem Tageslicht freigeben.
Im hinteren Raum zeigt der Künstler mehrere kleinteilige Serien, vier Zeichnungen mit Chinatusche und eine Videoarbeit. Sämtliche Arbeiten Johnny Linders sind von zarter zurückhaltender Ästhetik mit einem großen malerischen Potenzial.
Johnny Linder wurde 1991 in Süddeutschland geboren. Der Künstler beschäftigt sich seit 2012 durch einen einjährigen Frankreich-Aufenthalt mit dem Thema Fotografie, damals der analogen Fotografie. Von 2013 bis 2018 hat Johnny Linder in Gießen Kunst und Französisch auf Lehramt studiert. Im April 2019 war er schon einmal in der KWS Art Lounge NEWCOMER in Einbeck zu Gast, damals jedoch als Eröffnungsredner für seine Studienkollegen bei der Gemeinschaftsausstellung „Rare, medium oder well done“. 2018/2019 übernimmt der Künstler die Betreuung des analogen Fotolabors am Institut für Kunstpädagogik in Gießen und absolviert den Master of Arts im Fach Kunstpädagogik. Zusätzlich arbeitet Johnny Linder freischaffend, übernimmt Lehrtätigkeiten im Bereich Kunst und kameraloser Fotografie und erhält zahlreiche Stipendien, beispielsweise vor drei Jahren das Katalogstipendium des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Seit 2021 studiert Johnny Linder Bildende Kunst und Fotografie an der Wiener Universität für Angewandte Kunst in der Klasse Gabriele Rothemann. Dort wird die Fotografie frei für künstlerische Ideen eingesetzt, um individuelle Wege der Bildfindung und eigene künstlerische Positionen zu entwickeln
Geöffnet ist die NEWCOMER KWS Art Lounge mittwochs von 10 bis 13 Uhr, freitags von 15 bis 18 Uhr und sonnabends von 10 bis 13 Uhr. Es gelten die aktuellen Corona-Regeln.